7. Werkleitz Biennale Happy Believers
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Katalogtexte

Anke Hoffmann:
Glaubenssysteme zwischen Medien, Markt und Menschen

Solvej Helweg Ovesen:
Der Thron bleibt leer

Angelika Richter:
Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern

Jan Schuijren:
Spuren des Nächsten



Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern
Angelika Richter

Lenin revisited
Am Ende des 20. Jahrhunderts dürfen wir Zeugen einer Wundererscheinung sein – auf einem öffentlichen Platz in Vilnius, Litauen, können wir die Errichtung einer Lenin-Statue verfolgen.
Dieser
ungewöhnliche Akt im Video Once in the XXth Century (2004) von Deimantas Narkeviciuis gleicht einem öffentlichen Spektakel, beklatscht von zahlreich erschienenem Publikum. Die gewohnt streng stilisierten Feierlichkeiten für den ideologischen Führer der kommunistischen Idee, der aus dem Marx’schen ‚Religion ist das Opium des Volkes’ gleich die propagandistische Version von ‚Religion ist Opium für's Volk’ machte, bleiben indes aus. Das heitere Volksfest geht ohne die staatlich verordnete Choreografie von quasi-religiösen Verehrungsritualen vonstatten.
Deimantas Narkevicius hat in seinem Video Material eines litauischen Fernsehsenders verwendet. Dieses zeigt die Demontage des Lenin-Monuments in den 1990er Jahren. Durch filmischen Schnitt wurde daraus die Errichtung derselben. Nachdem ein Großteil der sozialistischen Denkmäler Ende letzten Jahrhunderts spontan oder staatlich verordnet abgetragen wurden, zeugen diese als nur noch flüchtige und entmaterialisierte Spuren von einem kollektiven, aber unerfüllt gebliebenen Glauben an eine gesellschaftliche Alternative. Mit der ‚Umkehr der Bilder’ holt Deimantas Narkevicius in seinem Video den längst zu Geschichte gewordenen Personenkult und die öffentliche Installation ideologischer Symbole eines real existierenden Sozialismus noch einmal in unsere Zeit.
Der litauische Filmemacher thematisiert in seinen Arbeiten ausgehend von seiner persönlichen Biografie und in Hinblick auf Ereignisse in seinem Heimatland das Verhältnis von individueller und kollektiver Erinnererung. Once in the XXth Century ist ein ironischer Kommentar auf die sich in den verschiedenen politischen Epochen wiederholenden Szenen ideologischer Manifestationen in ‚Stein’ und auf den darauf folgenden Ikonoklasmus als radikale Maßnahme von Geschichtskorrektur. Zerstörung, Entweihung oder Entfernung politischer Glaubensrelikte führten, wie die Geschichte zeigt, indes nur zur oftmals ungebrochenen Reproduktion von Ikonen und Formen der Bilderverehrung. So wird im Video nicht nur die beanspruchte Glaub-Würdigkeit der (Fernseh-)Bilder von dem Moment, in dem eine Gesellschaftsordnung Geschichte wird, unterlaufen. Darüber hinaus wird von der Austauschbarkeit und Entleerung ideologischer Zeichen und Rituale erzählt. 1
Die zerstörten Hinterlassenschaften einer verlorenen Utopie finden sich auch in dem Film The Role of a Lifetime (2003). Hier wird gezeigt, wie sowjetische Monumente, ihrer einstigen repräsentativen Funktion entledigt, in einem skurrilen Themenpark in Litauen wie ausgediente Veteranen ausgestellt werden. Auch das still gelegte Elektrizitätswerk in Energy Lithuania (2000), einst Symbol für den gemeinschaftlichen Glauben an den sozialistischen Aufbau und Fortschritt, findet sich in den Bildern nur noch als geisterhafter Ort wieder, als immenses Echo einer gescheiterten Utopie.

We Are Replay
Was aber kann nach einem gesellschaftlichen Umbruch kommen, der durch das Scheitern einer (letzten) Utopie gekennzeichnet ist? Kann es noch so etwas wie einen kollektiven Glauben, eine gemeinschaftliche Zukunftsvision geben oder ist nur noch der Rückzug in die Glückseligkeiten der Privatsphäre von Bedeutung? Und, wenn vom Fortbestehen von Ideen und Überzeugungen gesprochen werden kann, dann schließt sich die Frage an, woran glauben im Zeitalter des Postkommunismus?

So lässt der Hallenser Künstler Daniel Herrmann Schüler/innen einer Kooperativen Gesamtschule in Halle-Neustadt sich gegenseitig fragen: Was glaubt Ihr? Jugendliche also, die unberührt blieben von den ideologischen Experimenten in der ehemaligen DDR, aber nicht von deren Konsequenzen. Ostdeutschland gehört zu einem der drei Länder des ehemaligen Ostblocks, das zahlenmäßig die meisten Atheisten aufzuweisen hat, in dem ein hoher Prozentsatz an Bürger/innen am materialistischen Weltbild festhält und wo das Wissen über christliche Religion besonders bei den Jungen äußerst lückenhaft ist.
Aufgewachsen sind die 16-Jährigen unter dem Markenhimmel des konsumistischen Kapitalismus, in einer utopiefreien Zeit also. Wo die Suche nach Gemeinschaft und Glück durch die Verheißungen von Marketing und Werbung im Sinne des ‚We Are Replay’ des Jeanslabels mit selbigen Namen Erfüllung findet und weniger in den institutionalisierten Wunschwelten von ‚Wir sind Papst’.
Gespräche in Workshops und in einer Projektwoche über eigene Sehnsüchte, Vorbilder und Ziele sollen in den Versuch eines (freiwilligen) Glaubensbekenntnisses im Format eines Schreins oder eines Poesiealbums Gestalt finden. Dazu erklärt Daniel Herrmann:
„Der Schrein – die Lade, die Portatile (eine Art mobiler Altar, häufig bei Kreuzzügen mitgeführt) enthält Formen von Reliquien oder Votivgaben und Heiligenfiguren. Dem kommen in heutiger Zeit Objekte und Inszenierungen im privaten Raum gleich. Es kann ein überfrachtetes ‚Beautycase’ sein, vielleicht gefüllt mit goldenen Seifenkugeln von Douglas, seltenen Pillen als Partytrophäen, Mittelmeermuscheln und der Locke des Freundes. Oder, es ist der Rucksack mit Butten-Formationen und Diddlmaus. Ein weiteres Beispiel ist der Spiegel mit Lippenstifthuldigungen, Fotos von Freund und Freundinnen oder angebrachten Konzertkarten. In Perfect Childhood hat Larry Clarke mit seiner Fotoserie bereits alles zur bedeutenden Unterseite eines Skateboards gesagt.
Das Poesiealbum enthält Stammbuch- und Ikonenbildchen, Wünsche und Widmungen. Zeitgemäßere Bekenntnisse sind jedoch meist mit Hinweisen auf die Vorlieben (Speisen, Songs, Tiere, Stars) der Eintragenden versehen. Mitunter sind die Seiten vorformatiert mit Fragen wie: ‚Welchen Schauspieler findest du toll?’ oder ‚Was tust du am liebsten?’. Mit Glitzerherzchenstickern und Bravobildchen kann man den Popstar individuell hervorheben.“

Entfernt von kulturkritischen oder religionswissenschaftlichen Diskursen bilden in Was glaubt Ihr? Fragen nach den alltäglichen Bedürfnissen den Ausgangspunkt. Welche Ideen und Visionen aber hat die neue Generation, die über emotionale Bindungen und soziale Zugehörigkeit innerhalb des Privatraums der Familie und Freunde hinausgehen?

My Private Idoland
Ein
Aspekt privater Glaubenspraxis, die Verehrung eines Idols, ist Gegenstand kritischer Reflexion der ebenfalls in Halle (Saale) ansässigen Künstlerin Denise Rönsch.
Ihr ‚Private Idoland’ entwirft sie um den Politiker und die Privatperson Otto Schily. Dafür hat sie zahlreiche Fotografien, Zeitungsartikel und Videomitschnitte zu Otto Schily gesammelt und archiviert. Neben der Verwendung von dokumentarischem Material und dem Einsatz von Dingen des alltäglichen Gebrauchs setzt Denise Rönsch zugleich fiktive Szenen aus dem Leben Otto Schilys visuell um.
Sie durchspielt virtuos Varianten der Abbildung und Aneignung des Idols und verschiedene mediale Repräsentationsformate, wobei sie sich als Stellvertreterin unterschiedlicher Positionen mit zahlreichen, voneinander abweichenden Motivationen der Idolisierung inszeniert. Die entstandenen Ölbilder, Fanplakate, Fotografien, Objekte und die lebensgroße Schily-Puppe werden schließlich in einer Rauminstallation zusammengetragen. Dieses Arrangement hat gleichermaßen die Qualitäten einer Fan-Ecke, eines Andachtsraumes und eines Devotionalienkabinetts.
Die subjektive Annäherung und Aneignung der öffentlichen Figur Otto Schilys bei gleichzeitig gekonntem Spiel mit einer Vielzahl individueller Äußerungsformen des Starkults und der Verehrung erhebt die Rauminstallation von My Private Idoland (2005/2006) zu einer Begegnungs- und Imaginationsstätte. Sie wird zu einem symbolischen Ort für intime Bekenntnisse und Offenbarungsrituale.
Die mediale Vergötterung von Politikern hat Denise Rönsch in einem kleinen öffentlichen Happening subtil persifliert. Gleich einer einsamen nächtlichen Prozession hat sie kurz vor der Kanzlerwahl im Jahr 2005 auf einem selbst gestalteten Plakat die Person der Verehrung mit sich geführt und auf einer Verkehrsinsel installiert. Bevor Otto Schily nach der Bundestagswahl in die politische Bedeutungslosigkeit einging, wurde ihm in der Stadt Halle (Saale) somit ein temporäres Denkmal geschaffen und das Privileg eines Treueversprechens der besonderen Art zugetragen.

Britney Spears oder die Blessuren vom Iconoclash
Das bis zur Unkenntlichkeit zerkratzte Gesicht auf dem immer wieder gleichen Poster gehört einem der weltweit erfolgreichsten Idole – der US-amerikanischen Sängerin Britney Spears. Millionen Jugendliche gehören zu ihrer Fangemeinde, fasziniert von den perfekten Selbst-Inszenierungen des pop stars.
In
François Buchers Spiritual Still (2005) ist davon nichts mehr zu sehen. Die über 30 Fotografien, aufgenommen in der New Yorker U-Bahn kurz nach dem 11. September 2001, weisen Spuren eines gemeinschaftlichen, ‚spirituellen’ Erwachens auf. Die New Yorker, auf Grund der Ereignisse in ihrer Stadt offensichtlich nicht mehr in der Lage, das glamouröse und vordergründige Sich-in-Szene-Setzen der Sängerin zu ertragen, proben ein kollektives Aufbegehren. Alle erdenklichen Formen des Unmutes mit der Qualität eines säkularen Bildersturms richten sich gegen das Idol, das von allem unbeeindruckt ihr Konzert in Las Vegas ankündigt.
Mit dem Angriff auf ihre Poster aber erlebt die Sängerin ironischerweise gleichsam eine quasi-religiöse ‚Wiederbelebung’. Entsprechend ihrem damaligen Oszillieren zwischen den Inszenierungen einer Hure und einer Heiligen sprechen die Bilder Britney Spears’ nun geradezu von einem Martyrium. Die ihr zugefügten Leiden scheint die Sängerin dabei mit dem entsprechenden Pop-Pathos zu hinterfragen, aber gleichzeitig stoisch zu ertragen, wie ihr Song Girl in the Mirror zu berichten weiß:

There's a girl in the mirror
I wonder who she is
Sometimes I think I know her
Sometimes I really wish I did
There's a story in her eyes
Lullabies and goodbyes
When she's looking back at me
I can tell her heart is broken easily

...

If I could
I would tell her
Not to be afraid
The pain that she's feeling
That sense of loneliness will fade
So dry your tears and rest assured
Love will find you like before
When she's looking back at me
I know nothing really works that easily

...

I can't believe what I see
No ...
oh the girl in my mirror
The girl in my mirror is me
Ohh ... is me

Für die künstlerische Praxis François Buchers ist die Auseinandersetzung mit dem Bild, seiner Überlieferung, Aufladung und kontextabhängigen Bedeutung in der visuellen Kultur maßgeblich, was sich auch in seinem neuen Film Sopraluoghi a Roma (2006)2 zeigt.
Während sich darin die Stadt Rom durch Werbung, Shows, Fernsehen oder Führungen für Touristen selbst ausstellt, wird durch das voice-over deutlich, dass der Film nach etwas Anderem Ausschau hält. Ausgehend von Caravaggios Das Abendmahl in Emmaus (1602/03) begibt sich die Kamera auf die Suche nach einem Bild, das im Laufe des Films erst noch entstehen wird. So heißt es darin: „these images were not taken by me ...“, „I could use the face of this person for ...“ oder „I have no words for these images ...“.

Franz von Assisi
Nicht nur die Heiligen von heute, sondern auch die aus der Religionsgeschichte dienen immer wieder für Auseinandersetzungen mit persönlichen, künstlerischen oder politischen Anliegen.
So endet das populäre Buch über die neue Weltordnung und zum Untergang des Empire von Michael Hardt und Antonio Negri mit einem feierlich linkskatholischen Blick in die Zukunft, der sich an dem Wirken des Heiligen Franz von Assisi orientiert. Dort heißt es: „In Opposition zum aufkommenden Kapitalismus ... setzte er ein glückliches Leben entgegen, das alles Sein und die gesamte Natur, die Tiere, Schwester Mond, Bruder Sonne, die Vögel auf dem Felde, die armen und ausgebeuteten Menschen zusammenschloss gegen den Willen der Macht und die Korruption. ... In der Postmoderne befinden wir uns wieder in der gleichen Situation wie Franz von Assisi, und wir setzen dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen.“3
Wird
das charismatische Wirken des Mönches bei Michael Hardt und Antonio Negri im Sinne der Dialektik gedeutet und als revolutionär ausgelegt, weil es die „Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein“ vorwegnimmt, so erfährt die Person des Heiligen Franziskus in den Arbeiten von Andrea Büttner eine eher existenzialistische Interpretation. In Anlehnung an seine ‚Vogelpredigt’ skizziert die Künstlerin in ihren Zeichnungen mit nur wenigen Strichen die Versuche von Tieren, wie Schlange, Hund oder Löwe, zu Franziskus zu sprechen. Das in der Geschichte überlieferte Hierarchieverhältnis zwischen Sprechendem und Zuhörendem bei der ‚Vogelpredigt’ wird somit umgekehrt.
Für die Auseinandersetzung mit seiner Person folgt Andrea Büttner auch einem biografischen Impuls, denn sie hat ihre Gymnasialzeit auf einer von Franziskanerinnen geleiteten Schule verbracht. Neben ihren aktuellen Recherchen zu Nonnenkünstlerinnen wie zu Sister Corita Kent und ihren Zeichnungsabenden in einem Londoner Karmeliterinnen-Konvent arbeitet sie seit einigen Jahren zu den Schwerpunkten ‚Scham’ und ‚radikale Subjektivität’. Diese Themen sind sowohl Sujet ihrer Textarbeiten, Holzschnitte und Installationen als auch stilistisches Instrumentarium für den Einsatz von ‚uncoolen’ und ‚armen’ Materialien.
Der äußerst persönlich anmutende Bekenntnischarakter ihrer Texte und die radikal naive bis reduziert comicgleiche Bildsprache ihrer Zeichnungen unterlaufen visuelle und verbale Kommunikationsmuster und reduzieren sie auf das Essenzielle. Der Gestus der Selbst-Offenbarung und das öffentliche Ringen um Selbstbeschreibung sind unmittelbar und entwaffnend. Die Grenzen von Scham, Schlichtheit oder beschämender Unvollkommenheit werden innerhalb des künstlerischen Kontextes geöffnet.
Über ihre Zeichnungsserie schreibt Andrea Büttner: „Ich habe seit 2003 viel über und von Franziskus gelesen. Schön an Franziskus ist, dass er Armut in der Sprache der Troubadoure ‚Lady poverty’ genannt hat. Dass er als erster ein Gedicht in italienischer Sprache verfasst hat. Dieses Gedicht, der ‚Sonnengesang’, endet mit einer Strophe, die er der Legende nach kurz vor dem Tod schrieb: ‚Gepriesen seiest Du, oh Herr, durch unseren Bruder, den leiblichen Tod. Ihm kann kein Mensch entrinnen.’ Erst vor kurzem habe ich entdeckt, dass die Maden-Zeichnung damit zu tun hat, was ich über Heilige denke: dass es einige gab, die die Wirklichkeit liebten. Dass Heiligkeit genau das ist.“ So zeigt die Zeichnungsserie Tiere predigen dem Heiligen Franziskus (2004) in schöner Spiegelung, nicht wie Franziskus seinen Glauben in Wort und Lebensführung verkündet, sondern wie er den Tieren zuhört.

Der Holzschnitt Waiting for the Miracle to Come (2000), eine weitere in der Ausstellung zu sehende Arbeit, zeigt einen Satz, der zugleich eine Praxis und eine Hoffnung ausdrückt.

Allerheiligen
Heutzutage sind es nicht Wegkreuz oder Andachtskapelle, sondern riesige Plakatflächen in Straßenzügen, die zum Innehalten auffordern. Nicht Innenschau, sondern Nabelschau der neuen Heiligen der Modewelten künden in jeder Stadt auf überdimensionierten Bildtafeln von den Erfüllungen einer heilig-heilen Welt der Schönen, des Luxus und der Eitelkeiten. Die Idee von Transzendenz ist der Ästhetik des Seins gewichen. Je weniger Vision, desto vollkommener die Inszenierungen der ‚Welt der Wunschökonomie’. „Und ganz entsprechend kauft der postmaterialistische Kunde keine Güter, sondern Geschichten, Gefühle, Träume und Werte.“4

Wände, Türme, Sockel, Türen, selbst die Turmkreuze des stark verkleinerten Doms zu Speyer von Hans Hemmert sind lückenlos überzogen von Abbildungen konsumistischer Anbetungsgegenstände unserer Zeit, wie den unbezahlbaren Echtledertaschen und Schuhen, Strumpfhosen oder Accessoires von Louis Vuitton Melletier, Paris. Der Dom zu Speyer erfährt seine radikale Verkleinerung zu einer assemblierten Handtasche, die man sich lasziv getragen von einem der gleichsam darauf abgebildeten Topmodels vorstellen könnte: Das Marken-Täschchen als der mit den Insignien des Designers versehene Minialtar, als ständiger Begleiter und Seelsorger.
Geschmückt mit den Ikonen von heute und reduziert zu einer einzigen Werbe- und Projektionsfläche erzählt der Dom von den Verführungen und Wiederverzauberungen des Konsums. Er bietet ein scheinbar unendliches Angebot von Antworten auf die Bedürfnisse des Individuums, das sich unerschütterlich seinen Weg durch den Glaubensmarkt bahnt. In Zeiten von Kirche und Kapital ist die religiöse Aufladung von zeitgenössischen Heiligenbildern garantiert. Katholizismus und Konsum teilen die Gemeinsamkeit einer ‚Augenreligion’.

God is Love
In
seinem Dokumentarfilm Counter Communities (2003), entstanden in Koproduktion mit Oliver Elser, beschäftigt sich Oliver Croy mit fünf alternativen Architekturprojekten in den USA, die alle auf utopische Tendenzen aus den 1960er und 1970er Jahren zurückgehen. Neben dem Interesse an der innovativen Verwendung von Baumaterialen waren für den Künstler vor allem die verschiedenen utopischen Gesellschaftsmodelle relevant, die mit diesen Projekten verwirklicht werden sollten.
Aus der Recherche hervorgegangen ist auch eine Reihe von Fotografien zu Salvation Mountain. Keine Gemeinschaft oder eine kollektive Utopie repräsentierende Architektur, sondern Sinnbild für eine private und exzentrische Glaubenspraxis. Salvation Mountain, in der Nähe von Slab City in Kalifornien, ist ein farbig bemalter Berg, initiiert von einer einzigen Person, Leonhard Knight. Das Monument, versehen mit zahlreichen Glaubensverkündigungen und einem weithin sichtbaren Gipfelkreuz, soll von der universalen Liebe Gottes sprechen und allen Gläubigen offen stehen. Mr. Knight beansprucht für sich, behaupten zu könnten, dass er substanzielle Geldspenden von Unterstützern ablehnte, die Interesse an der Änderung dieser Botschaft von der allmächtigen Liebe Gottes gehabt hätten.
Oliver Croy beschreibt die Geschichte von Salvation Mountain: „Leonard Knight, ein Koreaveteran, investierte fünf Jahre intensive Arbeit in einen riesigen Heißluftballon mit der Aufschrift ‚God is Love’. Der Ballon war jedoch zu groß, als dass er hätte abheben können. Knight entschloss sich stattdessen, ein Gott gewidmetes Monument auf einem Hügel in der Wüste zu errichten. Er brachte mit tausenden Litern gespendeter Farbe darauf Botschaften des Evangeliums und Verzierungen an. Der Berg erhielt den Namen ‚Salvation Mountain’.“
Obwohl das Projekt unautorisiert ist, wurde der Berg im Jahr 2002 als ‚national treasure’ unter Schutz gestellt. In unmittelbarer Nähe zum Salvation Mountain errichtet Leonard Knight als sein neuestes Bauwerk die Nachbildung des Heißluftballons, bestehend aus Lehm, hunderten von Strohballen, alten Autoreifen und abgestorbenen Bäumen, die den gesamten Aufbau stützen sollen. Befragt zu dieser gewagten und äußerst instabilen Konstruktion, kommentiert er in knappen Worten seinen Auftrag: „God showed me how to do it“.

Der ‚Überkopf-Bildwerfer’ und die Probleme mit der Segensvermittlung
„5 Im gleichen Augenblick gingen hervor Finger wie von einer Menschenhand, die schrieben gegenüber dem Leuchter auf die getünchte Wand in dem königlichen Saal. Und der König erblickte die Hand, die da schrieb. 6 Da entfärbte sich der König, und seine Gedanken erschreckten ihn, so dass er wie gelähmt war und ihm die Beine zitterten. 7 Und der König rief laut, dass man die Weisen, Gelehrten und Wahrsager herbeiholen solle. Und er ließ den Weisen von Babel sagen: Welcher Mensch diese Schrift lesen kann und mir sagt, was sie bedeutet, der soll mit Purpur gekleidet werden und eine goldene Kette um den Hals tragen und der Dritte in meinem Königreich sein. 8 Da wurden alle Weisen des Königs hereingeführt, aber sie konnten weder die Schrift lesen noch die Deutung dem König kundtun.“ (Altes Testament: Daniel 5, 5-9)

The Writings on the Wall (2005) von Martin Conrads und Ingo Gerken befragt die Wirksamkeit des vom Papst ausgesprochenen Segens bei medialer Vermittlung. War zunächst für den Empfang des päpstlichen Segens die Anwesenheit auf dem Petersplatz oder die sichtbare Nähe zum Segensspender notwendig, so bestätigte der Heilige Stuhl im Jahr 1967, dass der apostolische Segen auch bei Übertragung durch das Radio gültig empfangen werden könne, ebenso fast zwanzig Jahre später, 1985, durch das Fernsehen. Ein ähnliches Dekret wurde nach weiteren zehn Jahren, 1995, für die Vermittlung durch das Internet verabschiedet. Speicherung und Wiederholung aber führten laut Verordnung zur Ungültigkeit des Segens. Was die Direktübertragung im Internet betrifft, so werden die Daten während des Livestreamings jedoch für eine kurze Zeit zwischengespeichert. In diesem Fall wird die Segensübermittlung laut der Künstler eher zu einer Frage des Glaubens als zu der von Simultanität.
Warum könne also das temporäre Speichern des Segens im Internet nicht auch auf andere Medien übertragen werden, ohne dass er dabei seine Gültigkeit verlieren würde?
Schließlich gab es neben der sukzessive größer werdenden Medien-Kompatibilität der Segenssprechung und des Empfangs auch andere bedeutende Abweichungen von der Tradition des Segens wie die durch die Gebrechlichkeiten Johannes Paul II. bedingte ‚stumme’ Spendung des Segens, der einer ‚gesprochenen’ gleichgestellt wurde, wobei dieses Privileg nur dem Papst selbst zustand.

Entsprechend diesen Modifikationen kommen Martin Conrads und Ingo Gerken zu dem Schluss, dass der Overhead-Projektor (deutsch wörtlich: ‚Überkopf-Bildwerfer’) als ein Live-Übertragungs- bzw. Projektionsmedium und die Folie als so genanntes ‚Speicherprogramm’ das ideale, aber bisher stark vernachlässigte Medium für den päpstlichen Segen sei. Biblische Motive wie die segnende Hand und die Aureole, die als illuminierter Wolkenkreis heilige Personen umgebe, oder das Geschriebene an der Wand, wie es bei Daniel 5 überliefert steht, unterstützten die Idee, dass der Overhead-Projektor als perfektes Medium dem Heiligen Stuhl für einen medial vermittelten Segen dienen könne.
Ausgehend von dieser Überlegung haben die Künstler Anschreiben an verschiedene kirchliche Autoritäten verfasst mit der Bitte um Beantwortung folgender Fragen:
- Wissen Sie, ob sich (wie bei Radio, Fernsehen, Internet) auch eine Overhead Projektor-Folie zur Übertragung des päpstlichen Segens eignet?
- Gibt es einen Beschluss des Vatikans, in dem zu dieser Eignung des Overhead Projektors positiv Stellung bezogen wird?
- Falls dem so ist, senden Sie mir bitte eine Overhead Projektor-Folie zu, die den päpstlichen Segen trägt.

Dass es sich bei dem durch einen Overhead-Projektor vermittelten Empfang des Segens um eine individuelle Glaubens- und Ansichtssache handeln muss, davon erzählen The Writings on the Wall.

Meditationsraum für Avatare
Mit
ihrem Internet-Projekt Non Chat Chat – Meditationsraum für Avatare möchten Hörner/Antlfinger Besuchern der Ausstellung und Usern im WordWideWeb die Möglichkeit geben, gemeinsam in einem virtuellen Raum zu meditieren. Es soll dabei um reine Anwesenheit und kein geschwätziges Chatten gehen.
Eine Inspirationsquelle für dieses Projekt geht unter anderem auf die Geschichte des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi zurück, dem Begründer der transzendentalen Meditation, die für die Künstler mit ungläubigem Staunen und mit einer gewissen Faszination verbunden ist: „Das für uns eigentlich Wesentliche ist Maharishi Mahesh Yogis Ansatz, seine Technik im Lichte der Wissenschaft zu beweisen. Mit aufwendigen Feldstudien versuchte er die positiven Effekte der Meditation auf ein Gemeinwesen nachzuweisen. Meditieren 7000 Siddhas, also geschulte Meditierende, zusammen an einem Ort, so sollte das konkrete Auswirkungen auf die Kriminalitätsrate, das wirtschaftliche Wachstum (Sinken der Arbeitslosigkeit- und Selbstmordrate, Steigen des Pro-Kopf-Einkommens sowie des Börsenindex!) und das persönliche Glück haben. Diese Feldforschungen sind natürlich umstritten und wurden irgendwann auch nicht mehr weiter verfolgt. Es ging letztlich darum, die Existenz des ‚Unified Field’5 nachzuweisen, ein Feld zu dem jeder Mensch Zugang hat und gemeinsam mit anderen auch Kräfte entfaltet, die auf andere wirken können.“

Nach der Theorie des Yoga gibt es an der Quelle des eigenen Bewusstseins einen Bereich vollkommener Ruhe bei gleichzeitiger vollkommener Wachheit. Dessen klare Erfahrung geht mit der Erfahrung von Glückseligkeit einher. Der Zustand ruhevoller Wachheit ist neben den bekannten Zuständen Wachen, Schlafen und Träumen ein vierter Haupt-Bewusstseinszustand und wird in unterschiedlichen Kulturen unter anderem als Transzendenz, Samadhi, Nirvana, Absolutes, Sein, metaphysischer Angelpunkt, Himmelreich Gottes bezeichnet.
Fragestellungen, die die Künstler mit ihrer Arbeit verbinden, sind: Ist Meditation eine Praxis, die auf ein elektronisches Datennetz ausgedehnt werden kann? Wirkt sie auch noch mit Stellvertretern, Avataren? Und welche Erfahrung ergibt sich daraus für das reale Subjekt?
Dazu noch einmal Hörner/Antlfinger:
„Wir behaupten das auch ganz im Sinne Pascals, der die Rückgewinnung des Glaubens durch ein So-Tun-Als-Ob einzustudieren empfiehlt, denn zu verlieren habe man ja nichts, im Gegenteil, man könne alles gewinnen.“

Über das WorldWideWeb wollen die Künstler ein Forum schaffen für die Happy Believers der Biennale und für diejenigen, die es mit Hilfe der Kunst und mit den Techniken der Meditation gern werden möchten.
Bei erfolgreicher Umsetzung des Projektes könnte daraus in Anlehnung an den Titel des amerikanischen Filmemachers Les Blank6 zu schließen sein: God respects us when we work – but he loves us when we are happy.
Ein Angebot, dem man sich nicht entziehen kann!

1 Eine Arbeit, die einen Aspekt russischer Geschichte als Abfolge monumentaler Verehrung und nachfolgender Zerstörung von Gebäuden und Denkmälern beschreibt, ist der Film Disgraced Monuments von Mark Lewis und Laura Mulvey. Der sich abwechselnde Aufbau und Abriss politischer und religiöser Architektur entsprechend der jeweils dominierenden Weltanschauung auf einem Platz in Moskau innerhalb eines Jahrhunderts wird anhand von dokumentarischem Material nachgezeichnet.
Die Errichtung bzw. der Abriss der Lenin-Statue wird in Once in the XXth Century wiederum konterkariert durch die sich im Hintergrund befindende katholische Kirche SS Jacob and Philip, die die Zeiten der Sowjetunion und des Postkommunismus unbeschadet überlebt hat.
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2 Der Titel ist eine Anlehnung an Pier Paolo Pasolinis Motivsuche in Palästina, Sopraluoghi in Palestina, für den Spielfilm Il vangelo secondo Matteo (1964).
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3 Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Campus Verlag, Frankfurt/New York, 2003, S. 420.
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4 Norbert Bolz: Das konsumistische Manifest Wilhelm Fink Verlag, München 2002, S. 109.
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5 Das vereinheitlichende Feld ist ein Begriff aus der theoretischen Physik. Einheitliche Feldtheorien verfolgen das Ziel, alle Materie und Kraftfelder des Universums in einer Formel, dem ‚vereinheitlichten Feld’ oder ‚einheitlichen Feld’, zusammenzufassen. Eine einheitliche Feldtheorie, auch Weltformel genannt, soll die Zusammenhänge zwischen der Materie, der elektrischen Kraft, der magnetischen Kraft und der Gravitation erklären.
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6 Der Titel des 1968 entstandenen Dokumentarfilms über einen besonderen Höhepunkt der Hippie- und Gegenkulturbewegung heißt im Original: God Respects Us When We Work – But He Loves Us When We Dance.
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